100-jähriges Jubiläum OV Rintheim

Chronik

Chronik zum 100-jährigen Jubiläum des
SPD-Ortsvereins Rintheim Karlsruhe - Rintheim, im Oktober 1997

Vorwort

Das 100-jährige Jubiläum des SPD-Ortsvereins Rintheim wurde zum Anlaß genommen, die Geschichte der Sozialdemokratie und insbesondere des Ortsvereins Rintheim in einer Festschrift festzuhalten.
Eine Chronik der letzten 100 Jahre sowie der Vorgeschichte muß zwangsläufig lückenhaft bleiben, da durch die beiden Weltkriege und durch die NS-Diktatur die meisten Dokumente vernichtet wurden. Trotzdem konnte erstaunlicherweise viel Information zu Tage gefördert werden, sowohl aus der Gründerzeit vor 100 Jahren, wie auch aus der Zeit nach dem letzten Weltkrieg. Bei Nachforschungen tauchten Akten und fragmentarische Zusammenfassungen aus einzelnen Zeitabschnitten auf. Diese Informationen wurden systematisch durch Recherchen im Generallandesarchiv, Stadtarchiv und Bundesarchiv ergänzt. Weitere Nachforschungen in ausgewählten Jahrgängen des "Volksfreunds" ab 1892 brachten interessante Tatsachen und Begebenheiten ans Licht. Zahlreiche Gespräche mit Zeitzeugen rundeten das Bild nicht nur der unmittelbaren Vergangenheit ab.
Die so entstandene Chronik soll diejenigen würdigen, die bereit waren, unter z.T. widrigsten Umständen, sei es im Kaiserreich, sei es zur NS-Zeit, unvorstellbare Opfer zu bringen, um sich für die Mitbürgerinnen und Mitbürger als abhängig Beschäftigte sozial, politisch und kulturell einzusetzen.
Ich danke allen, die zu dieser Chronik beigetragen haben. Besonderen Dank gebührt Herrn Prof. Dr. Fritz Bierbaum für seine tatkräftige und immer prompte Unterstützung. Herr Norbert Röth war immer wieder ein wichtiger Gesprächspartner; Dank auch für seine Layoutvorschläge. Auszüge aus dieser Chronik wurden 1997 als Artikelreihe im Bürgerblatt Rintheim veröffentlicht. Die gute Zusammenarbeit mit Herrn Ottmar Meier war dabei sehr hilfreich.
Diese Schrift möge allen Lesern Einblick in die bisherige Arbeit und Geschichte des Ortsvereins Rintheim und seiner Mitglieder geben.
Dr. Helmut Rempp

Rintheim, im Oktober 1997

Inhaltsverzeichnis
Entwicklung der Sozialdemokratie in Deutschland
Die soziale Frage
Erste Aktivitäten
Die Gründungsphase
Typische Schwierigkeiten
Die Weimarer Republik
Das Ende und der Neuanfang
Rintheim im 19. Jahrhundert
Demokratische Revolution 1848/49
Rintheim im ausgehenden 19. Jahrhundert
Sozialdemokratie in Rintheim
Erste sozialdemokratische Aktivitäten in Rintheim
Die Gründung des Wahlvereins
Sozialdemokratische Mandate in Rintheim
Rintheim als Karlsruher Stadtteil
Weimarer Republik
Das Ende der demokratischen Gesellschaft
1945 - die Stunde Null
Der Ortsverein heute
Quellen

1. Entwicklung der Sozialdemokratie in Deutschland
1.1 Die soziale Frage
Die Anfänge und das Fortschreiten der industriellen Revolution im Deutschland des 19. Jahrhunderts brachte den arbeitenden Menschen unvorstellbares Elend. Sie, die den engen bäuerlichen Verhältnissen auf dem Land entfliehen wollten, suchten in den Städten Zuflucht in der Hoffnung auf Arbeit, Brot und menschenwürdige Lebensumstände - und wurden bitter enttäuscht.
Die meisten von ihnen hausten in vollkommen überbelegten, feuchten und krankmachenden Quartieren. Sie leisteten 14 Stunden täglich Schwerstarbeit für Hungerlöhne, die niemals die Möglichkeit für eine bessere Zukunft offen ließen.

Licht, saubere Luft, Gesundheit, soziale Absicherung und Bildung waren unerreichbare Traumziele.

Aus dieser Not heraus entstand der Gedanke an eine eigenständige, von den bürgerlichen Gruppierungen unabhängige Arbeiterbewegung als Interessenvertretung derjenigen, die am Wohlstand und an der Bildung des Bürgertums keinen Anteil hatten, obwohl sie die Grundlagen dafür geschaffen hatten.

Diese Anfänge einer organisierten Arbeiterbewegung und die Gründung der Sozialdemokratie vollzogen sich vor dem geschichtlichen Hintergrund eines monarchistischen Herrschaftsbereichs. Die Vorherrrschaft Preußens hatte sich seit der Märzrevolution von 1848, nachdem preußisches Militär die badischen Aufständischen "zur Räson" brachte, verstärkt und republikanische Regungen in deutschen Landen erstickt (siehe auch Abschnitt 2.1).

Es waren aber neue Gedanken über das Wesen der Herrschaft und die Stellung des Menschen durch die französische Revolution von 1789 aufgekommen. Wen konnte es also wundern, wenn sich der humanistische Gedanke der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, der im vormärzlichen Preußen keine Chance hatte, erneut an der oben skizzierten sozialen Frage entzündete?

1.2 Erste Aktivitäten
Etwa zwei Jahrzehnte bevor sich die Sozialdemokraten als Partei konstituierten, hat der badische Volkstribun Friedrich Hecker auf einer Versammlung der im März 1848 in Heidelberg tagenden Mitglieder der liberalen Kammerorganisation die denkwürdigen Worte gesprochen:
„Ich will die Freiheit für alle, gleichviel in welcher Staatsform sie zu erreichen ist. Aber keine Freiheit nur für die Privilegierten; ich bin, wenn ich es mit einem Wort benennen soll, Sozialdemokrat."
Zunächst scheiterte die gewerkschaftliche und auch die politische Organisation zur Bewältigung der sozialen Frage jedoch an den verschiedenen arbeiterfremden Komponenten. Erst der am 23. Mai 1863 unter Ferdinand Lasalle (1825-1864) in Leipzig auf Basis eines von Lasalle entworfenen Parteiprogramms gegründete Allgemeine Deutsche Arbeiterverein (ADAV) sollte die Geburtsstunde der Deutschen Sozialdemokratie sein.

Im gleichen Jahr wurde der Verband deutscher Arbeitervereine durch August Bebel (1840-1913) und Wilhelm Liebknecht (1826-1900) und die Arbeiterbildungsvereine, die Vorgänger der späteren Gewerkschaften waren, gegründet. Schon 1867 konnte die Sächsische Volkspartei, die aus dem Verband deutscher Arbeitervereine hervorging, in den Norddeutschen Reichstag einziehen.

Im Jahr 1869 kam es dann zur Gründung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) durch Bebel und Liebknecht.

1870 stimmte ein Teil der Sozialdemokraten im Reichstag für Kriegskredite. Als 1871 jedoch für sie kein Anlaß mehr bestand, für eine Fortsetzung des Kriegs einzutreten, wurde der Parteiausschuß der Sozialdemokraten inhaftiert und 1872 der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein verboten, was wesentlich zu einer Radikalisierung beitrug.

Der im Mai 1875 stattfindende Parteitag in Gotha beschloß daher ein von Liebknecht entworfenes Parteiprogramm, in das auch marxistische Grundsätze eingeflossen sind. Leitgedanke war: Proletarier aller Länder vereinigt Euch.

Die Staatsmacht wollte keinesfalls dulden, daß eine zweite Macht sich etablieren wollte. Dies mündete in zwei Maßnahmen:

die Schaffung der Grundlagen seitens des Staats für eine Sozialgesetzgebung und
die Unterdrückung der Arbeiterbewegung mit allen Mitteln.
Zunächst kam aber die Kirche dran, die im einsetzenden Kulturkampf durch Bismarck unter Druck gesetzt wurde. Neben der katholischen Gesellenbewegung aktivierte sich auch eine evangelisch-soziale Bewegung. Die Sozialisten verurteilten den Kampf Bismarcks gegen die katholische Kirche.
Als nächstes traf es die Sozialdemokraten im Jahr 1878 mit dem Sozialistengesetz, welches besagte, daß Vereine, die durch sozialdemokratische, sozialistische oder kommunistische Bestrebungen den Umsturz der bestehenden Staats- oder Gesellschaftsordnung bezwecken, zu verbieten sind. Verfolgung und Haft waren nun an der Tagesordnung.

Zuvor war 1876 zur Information der Mitglieder, aber auch zur Verbreitung des Programms die Parteizeitung "Vorwärts" gegründet worden. Am 6. Oktober 1877 erschien mit dem „Badisch-Pfälzischen Volksblatt" die erste sozialdemokratische Zeitung Badens. Bei der Reichstagswahl des Jahres 1877 hatte die Sozialistische Arbeiterpartei 9,1% der Stimmen bzw. 12 Sitze im Reichstag erhalten. Obwohl die tatsächliche Macht der Partei insbesondere materiell begrenzt war, wurde das Gespenst der "roten Gefahr" beschworen.

Trotz der Sozialistengesetze lebte die sozialistische Idee weiter: Die Mitglieder der Sozialistischen Arbeiterpartei und anderer Gruppierungen wurden in Tarnorganisationen gezwungen, z.B. in Form von "Pfeifenklubs". Mit der langen Pfeife "bewaffnet" traf man sich, um gemeinsam Pfeife zu rauchen, und debattierte nach vorsichtiger Musterung der Anwesenden politische Fragen. In Karlsruhe gab es 3 Pfeifenklubs mit recht originellen Namen: "Platane", "Eichenlaub" und "Vulkan". Um an Wahlen teilnehmen zu können, wurde der "Verein zur Erzielung volkstümlicher Wahlen" ins Leben gerufen. Es konnte vorkommen, daß bei Wahlveranstalungen mehr Polizisten als sonstige Interessenenten anwesend waren. Bei einer derartigen Veranstaltung in Mühlburg war natürlich eine politische Rede verboten. Auch die Bitte an den Kommissar, Klavier spielen zu dürfen, wurde abschlägig beschieden. Nun stellte der Veranstalter, der spätere Landtags- und Reichstagsabgeordente Adolf Geck die Frage, ob man pfeifen dürfe. Das wurde gestattet und die anwesenden Sozialdemokraten pfiffen die Melodie eines Parteiliedes, das die Polizisten nicht kannten, andernfalls wäre dieses staatsgefährdende Pfeifen wohl kaum erlaubt worden.

Nach Ausschaltung der sozialistischen Propaganda und während einer verminderten politischen Aktionsfähigkeit der Sozialdemokraten riß die Regierung das Gesetz des Handelns an sich. Gegen den Widerstand der Unternehmer führte sie eine gesetzliche Krankenversicherung (1883), eine Unfallversicherung (1884) und eine Invalidenversicherung (1889) ein. Im Zeichen der Sozialistengetze berührte es eigenartig, wenn Bismarck im Reichstag 1884 erklärte: Wenn es keine Sozialdemokratie gäbe und wenn nicht die Menge Leute sich vor ihr fürchteten, würden die mäßigen Fortschritte, die wir überhaupt in der Sozialreform gemacht haben, noch nicht existieren.

Aber auch bürgerliche Kreise unterstützten die soziale Frage: Papst Leo XIII mit der Sozialenzyklika "Rerum novarum" im Jahr 1891 und der Gründung der Christlichen Gewerkschaften im Jahr 1894.

1.3 Die Gründungsphase
Sozialdemokratische Aktivitäten sind seit 1872 in Karlsruhe belegt. Der Schreinergeselle August Dreesbach, der über Jahrzehnte die badische Arbeiterbewegung maßgeblich prägte, hat 1876 eine Versammlung der „Sozialistischen Arbeiterpartei" in Karlsruhe unter großem persönlichen Risiko abgehalten. Von einer ausgesprochenen Gründungsversammlung in Karlsruhe wird erst im Jahre 1887 berichtet, bei der auch eine Parteifahne durch den damaligen Parteivorsitzenden Prof. Roßbach geweiht wurde. Immerhin geschah dies bereits 3 Jahre bevor Bismarck die Ausnahmegesetze im Januar 1890 zurücknehmen mußte. Bereits einen Monat später, bei der Wahl zum Reichstag am 20. Februar 1890, erzielten die Sozialdemokraten 19,7% der Stimmen. Während der 12-jährigen Dauer der Sozialistengesetze wurden in ganz Deutschland insgesamt ca. 120 Jahre Untersuchungshaft und 731 Jahre Gefängnis verhängt, von weiteren Drangsalierungen, die statistisch gar nicht erfaßt werden können, ganz zu schweigen.
Trotz Terror und Verbot hat die Partei die Jahre der Illegalität überstanden. Die Kraft der Idee und die Bereitschaft der Mitglieder, sich nicht zu beugen, führte gerade wegen des Verbots zu einer starken Solidarisierung der Mitglieder und zur Stabilisierung der Partei.

Die Politik wirkte aber nicht nur öffentlich, sondern bis in das private Familienleben der Vorkämpfer. Dazu ein bezeichnendes Beispiel: Ein Sympathisant bestellte für sein erkranktes Kind einen Arzt und dieser verlangte zum Ausstellen eines Rezepts eine Schreibunterlage. Als er dafür den "Volksfreund" überreicht bekam, war der Arzt so ungehalten, daß die Familie "solch eine Zeitung" lese, daß er sich entfernte, ohne ein Rezept zu schreiben. Die politische Differenz siegte über seine Arzt- und Menschenpflicht.

Auf dem Parteitag in Halle im Jahr 1890 nahm die Partei ihren endgültigen Namen "Sozialdemokratische Partei Deutschlands" an. Der Parteitag in Erfurt im Jahr 1891 verabschiedete das "Erfurter Programm", das bis zum Jahr 1921 verbindlich war.

Schon früh zeichnete sich eine erfolgreiche Parteiarbeit in der Kommunalpolitik und in den Landtagen ab. Hier hatte die SPD Gelegenheit, sich in der praktischen öffentlichen Tätigkeit zu bewähren. Man konnte sich auf größere Aufgaben vorbereiten. In den Landtagen wurden diese Möglichkeiten unterschiedlich genutzt, vor allem aber in Baden, Württemberg und Bayern.

Am 4. August 1914 stimmte die SPD im Reichstag geschlossen für die Kriegskredite, entgegen der Verleumdung von den "vaterlandslosen Gesellen".

1.4 Typische Schwierigkeiten
Im folgenden werden einige typische Schwierigkeiten genannt, mit denen Sozialdemokraten als Partei während der Monarchie zu kämpfen hatten.
Überwachung: Sozialdemokraten wurden von Seiten des Staats eingehend überwacht. Es wurden z.B. laufend Berichte unter der Rubrik "gemeingefährliche Bestrebungen der Sozialdemokraten", "Übersicht über die allgemeine Lage der sozialdemokratischen und revolutionären Bewegung", "Verbreitung sozialdemokratischer Druckschriften" etc. verfaßt.

Militärboykott: Er konnte durch die Militärbehörde bzw. durch die Bezirksämter verhängt werden, wenn sich in einem Wirtshaus Sozialdemokraten versammelten. Stand ein Wirtshaus unter Militärboykott, durfte dort kein Militär mehr verkehren. Polizei und Verwaltung leisteten Hilfsdienste bei der Überwachung.

Rote Fahne: Auch das Symbol der roten Fahne führte immer wieder zu Schwierigkeiten, wobei es davon abhing, ob diese öffentlich oder in geschlossenem Saale gezeigt wurde. Mit Datum vom 23.10.1913 verlautete z.B. vom Ministerium des Inneren: Die rote Fahne gilt allgemein als ein revolutionäres Zeichen und .... Die öffentliche Entfaltung roter Fahnen ist somit ohne weiteres ein ordnungswidriger Zustand, dessen Entstehung oder Fortsetzung die Polizei ... zu hindern hat.

1. Mai - Feier: Der 1. Mai wird seit 1891 als "Tag der Arbeit" gefeiert. Von Jahr zu Jahr wuchs die Zahl der Teilnehmer, so daß im Jahr 1904 schon zu einem Maiumzug aufgerufen werden konnte. Er wurde jedoch verboten. Obwohl das Nichterscheinen bei der Arbeit am 1. Mai die Kündigung nach sich ziehen konnte, nahmen im Jahr 1911 im Karlsruher Raum bereits über 1000 Personen an Demonstrationen teil. Bis 1914 erfolgten Kontrolle, Meldungen und Genehmigungen durch das Großherzogliche Bezirksamt und durch die Polizeidirektion. Ab 1915 wurden die Feiern vom Großherzoglichen Badischen Ministerium des Inneren verboten. Erst 1919 wurde der 1. Mai zum offiziellen Feiertag erklärt.

Gedächtnisfeier 48/49-er Revolution: Die Gedächtnisfeier zum 50. Jahrestag der 48/49-er Revolution wurde 1899 durch das Mannheimer Bezirksamt verboten (Bericht im Volksfreund vom 16.8.1899).

1.5 Die Weimarer Republik
Anfang 1917 erfolgte eine Trennung in die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) und die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD). In den politischen Wirren zum Kriegsende rief Scheidemann (SPD) die Republik aus, um ein allgemeines Rätesystem zu vermeiden. Die marxistisch orientierte USPD zog ihre Volksbeauftragten zurück, weil die Mehrheit der Arbeiter- und Soldatenräte sich nachdrücklich für die parlamentarische Demokratie entschieden hatte, was Friedrich Ebert in der Ratsleitung mitbewirkte. Ebert war 1. Reichskanzler im Jahr 1918 und danach 1. Reichspräsident der Weimarer Republik. Anfang der zwanziger Jahre fanden die beiden sozialdemokratischen Parteien wieder zur Einheit. Teile der USPD jedoch gingen in der neu gegründeten Kommunistischen Partei Deutschlands auf, von der sich die wiedervereinigte Sozialdemokratische Partei Deutschlands klar distanzierte.
Der Regierung Scheidemann / Ebert folgten im Amt des Reichskanzlers die Sozialdemokraten Gustav Bauer und Hermann Müller. An der Regierung Stresemann waren die Sozialdemokraten gleichfalls beteiligt. Die Wahl am 20. Mai 1928 ergab mit 153 Reichstagsmandaten einen sozialdemokratischen Erfolg. Der Parteivorsitzende Müller bildete seine zweite Koalitionsregierung. Mit ihr konnte Stresemann beachtliche Erfolge erreichen. Das Kabinett Müller scheiterte an den Maßnahmen der Aufrüstung. Hinzu kam im Jahre 1929 die Weltwirtschaftskrise. Man zählte mehr als 3 Millionen Arbeitslose.

1.6 Das Ende und der Neuanfang
Der von Reichspräsident von Hindenburg beauftragte Heinrich Brüning regierte mit Notstandsverordnungen. Die Sozialdemokraten lehnten es ab, in diese Regierung einzutreten und die Deflations- und Lohnsenkungspolitik mitzuverantworten. Es dauerte nun nur noch wenige Jahre bis Adolf Hitler mit der Regierungsbildung beauftragt wurde, trotz zähem Kampf und Widerstand der Sozialdemokraten. Als einzige Partei wagte es die SPD, im Reichstag gegen das Ermächtigungsgesetz zu stimmen, obwohl klar war, daß bei Ablehnung die nackte Gewalt drohte.
Der Vorsitzende der SPD, Otto Wels, hielt am 23. März 1933 im Deutschen Reichstag seine mutige Widerrede: Wir deutschen Sozialdemokraten bekennen uns in dieser geschichtlichen Stunde feierlich zu den Grundsätzen der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit, der Freiheit und des Sozialismus. Kein Ermächtigungsgesetz gibt Ihnen die Macht, Ideen, die ewig und unzerstörbar sind, zu vernichten.... Wir grüßen die Verfolgten und Bedrängten. Wir grüßen unsere Freunde im Reich. Ihre Standhaftigkeit und Treue verdienen Bewunderung. Ihr Bekennertum, ihre ungebrochene Zuversicht verbürgen eine hellere Zukunft.

Die Liste der aufrechten Männer und Frauen, die in der dann folgenden Zeit für ihre sozialdemokratische Gesinnung mit Verhaftungen, Mißhandlungen und Ermordung büßen mußten, ist lang; an sie alle denken wir in Ehrfurcht und Dankbarkeit.

Aus dem nachhaltigen Kampf und Widerstand gegen die Nationalsozialisten vor und nach 1933 bezogen vor allem die Sozialdemokraten die Legitimation für den Neuanfang 1945. Besonders die amerikanische Besatzungsmacht achtete stark darauf, daß ausgewiesene Hitlergegner in leitende Positionen berufen wurden.

2. Rintheim im 19. Jahrhundert
Um die Gründung der SPD besser verstehen zu können - auch im lokalen Umfeld Rintheim - soll an dieser Stelle einerseits auf die vorbereitenden Strömungen 50 Jahre zuvor, nämlich die demokratische Revolution 1848/49 eingegangen werden. Andererseits wird die allgemeine Situation im ausgehenden 19. Jahrhundert geschildert, damit man sich ein plastisches Bild von der Zeit der Gründung machen kann.

2.1 Demokratische Revolution 1848/49
Die revolutionäre Bewegung, die 1847 im Offenburger Gasthaus „Zum Schwanen" begann, sich 1848 auf breiter Front in Mitteleuropa fortsetzte und in Deutschland zu einer deutschen Nationalversammlung in der Paulskirche in Frankfurt führte, scheiterte an der reaktionären preußischen Macht. Republikanische Revolutionäre lösten danach im Frühjahr 1849 eine neue Aufstandswelle in Baden aus, die von preußischen Truppen jedoch blutig niedergeschlagen wurde.
Wie schon im Abschnitt 1.1 erwähnt überlagerte sich Mitte des 19. Jahrhunderts die soziale Frage der Arbeiterschaft mit der demokratischen Bewegung des Bürgertums. Auch an Rintheim ging die 48/49er Revolution nicht spurlos vorüber; ja, Rintheim engagierte sich einschließlich des Bürgermeisters und stand auf der „richtigen" Seite . Bei einer Volksversammlung in Rintheim hielten führende lokale wie überregionale Revolutionäre aufrührerische Reden. Bürgermeister Jakob Friedrich Burst, Metzger von Rintheim, war für die Revolution und nahm auch an der Volksversammlung am 20.5.1849 in Hagsfeld teil. Er betrieb das Ausrücken der Bürgerwehr von Rintheim. Wegen hochverräterischer Unternehmungen wurde er als Bürgermeister suspendiert und trat am 3.7.1849 freiwillig zurück. Wegen Hochverrats kam er in Untersuchungshaft, wollte jedoch nicht nach Amerika auswandern.

Zahlreiche Rintheimer kämpften als Soldaten für die demokratische Sache und wurden in Rastatt gefangen gesetzt bzw. unter Polizeiaufsicht gestellt. Folgende Rintheimer sind namentlich belegt: Jakob Belzer, Tambour; Ludwig Erhard, Gefreiter; Bernhardt Gemann; Ludwig Gerhard, Artillerist; Johann Hehrhardt, Christian Kastner, bei den Freischaren; Jakob Raupp, bei den Freischaren und Wilhelm Jakob Schleifer, Soldat. Teilweise wurden diese Kämpfer nach ihrer Verurteilung zur Auswanderung nach Amerika oder in die Schweiz begnadigt. So auch Ludwig Gerhardt, geb. am 11.6.1827 in Rintheim, Sohn des Waldhornwirts, der Schuhmacher und Scharfschütze beim 1. Infanterieregiment war. Er war Teilnehmer an den Gefechten bei Waghäusel und Bischweier. Am 13.10.1849 wurde er vom Standgericht Rastatt wegen Meuterei, Teilnahme an hochverräterischem Aufruhr und Treulosigkeit zum Tode durch Erschießen verurteilt. Die Todesstrafe wurde in 10 Jahre Zuchthaus umgewandelt. 1854 wurde er zur Auswanderung nach Amerika begnadigt. Auf einer Gedenktafel im Rastatter Schloß ist Gerhardt aufgeführt.

2.2 Rintheim im ausgehenden 19. Jahrhundert
Rintheim ist traditionell eine vergleichsweise arme Landgemeinde. Dennoch darf man sich Rintheim Ende des 19. Jahrhunderts als einen aufstrebenden Ort vorstellen, der (noch) eigenständig ist. Die Dynamik erkennt man daran, daß Rintheim innerhalb von knapp 30 Jahren seine Einwohnerzahl verdoppelt hat (auf ca. 1600 Einwohner im Jahr 1890). Diese Entwicklung läßt die öffentlichen Einrichtungen aus den Nähten platzen. So wird etwa das über 60 Jahre alte Schulhaus im Jahr 1890 durch ein neues am Weinweg ersetzt, muß aber trotzdem wegen steigender Schülerzahlen weiter genutzt werden. Die Rintheimer Bevölkerung wächst also schneller als die Schule geplant und gebaut werden kann.
Auch die Kirchenfrage ist seit 1871 schon gelöst: Die Rintheimer Bürger sind glücklich, daß sie in ihre eigene evangelische Kirche gehen können (über 95 % der Bevölkerung ist evangelisch). Eine eigene Pfarrei wird Rintheim aber erst im Jahr 1926 zugestanden, so daß die kirchliche Abhängigkeit von Hagsfeld noch nicht ganz beendet ist. Wie ärmlich die Zeiten sind, zeigt auch die Tatsache, daß die Kirchengänger im Winter in der Kirche immer noch frieren müssen, weil die ohnehin erst 1893 geplante Heizung erst viel später eingebaut wird.

Die Eigenständigkeit Rintheims zeichnet sich aber auch durch den eigenen Gemeinderat und ein schmuckes Rathaus aus, einen repräsentativen Fachwerkbau Ecke Haupt- und Forststraße. Darin lenkt seit 1889 Georg Schmidt als Bürgermeister die Geschicke Rintheims, gefolgt vom letzten Bürgermeister Ludwig Leßle bis zur Eingemeindung nach Karlsruhe im Jahr 1907. Die Verwaltung wird allerdings angesichts des raschen Wachstums immer schwieriger.

Auch im kulturellen und geselligen Leben ist Rintheim unabhängig und expansiv. Wir finden mehrere Wirtschaften vor, nämlich "Zum Schwanen", "Der Hirsch", "Das Waldhorn", "Die Krone", "Der Erbprinz/Schweizerhof", "Die Friedrichskrone" und andere. Das Vereinsleben hat 1858 mit dem "Sängerbund Rintheim" begonnen, gefolgt von zahlreichen Vereinsgründungen, wovon manche aber aus verschiedenen Gründen maßgeblich aber wegen der NS-Herrschaft die Zeiten nicht überdauert haben. Es sei hier noch der Badische Frauenverein genannt, der 1895 in Rintheim eine Ortsgruppe auf Veranlassung des Hagsfelder Pfarrers gründet. Schon im Gründungsjahr schließt er mit 179 Mitgliedern ab.

Wir sollten uns aber auch vor Augen führen, was es im ausgehenden 19. Jahrhundert u.a. noch nicht gibt:

Kanalisation, daher werden noch Aborte und Pumpbrunnen verwendet
Elektrizität und Gas, daher werden noch Petroleumlampen benutzt
befestigte Sportanlagen, obwohl 1896 der Turnverein und der Turnerbund Rintheim gegründet wurden.
Auch die soziale Lage der arbeitenden Bevölkerung ist am Ende des 19. Jahrhunderts dringend verbesserungsbedürftig, wie die folgenden Beispiele zeigen:
Absicherung bei Krankheit: Der Arbeiter M. aus Rintheim ist seit 3 Jahren bei der Firma Rupp u. Möller in Karlsruhe beschäftigt. Er bekommt eine Nierenentzündung, die er nicht auskurieren kann, weil er gezwungen ist, frühzeitig die Arbeit wieder aufzunehmen. Er bekommt deshalb einen Rückschlag und muß sich krank melden. Sein Arbeitgeber kündigt ihm daraufhin und weist ihn auf die Möglichkeit der Invalidenrente hin. Diese würde 10 bis 11 Mark monatliche Rente bedeuten, wenn sie überhaupt gewährt wird. Damit müßte der Arbeiter seine siebenköpfige Familie ernähren!

Arbeitszeiten: Die tägliche Arbeitszeit in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts liegt noch bei 10 Stunden. Obwohl die allgemeine wirtschaftliche Situation nicht schlecht ist, wird nicht über Arbeitszeitverkürzung verhandelt, sondern bei einigen Betrieben sogar eine Erhöhung um eine halbe bis ganze Stunde durchgesetzt.

Kinder- und Jugendarbeit: Kinder- und Jugendarbeit ist an der Tagesordnung. So ist eine Meldung nicht verwunderlich, die berichtet, daß ein 13-jähriger Junge in Rintheim beim Ausüben des Bauhandwerks vom Gerüst stürzte und sich tödlich verletzte. Es war keine Seltenheit, daß schon 12-jährige Kinder für schwere Arbeiten eingesetzt wurden.

Anhand dieser Beispiele ist es sicherlich verständlich, daß am Ende des 19. Jahrhunderts die soziale Frage immer noch ganz oben anstand. Auch in Rintheim mußte etwas geschehen.

3. Sozialdemokratie in Rintheim

3.1 Erste sozialdemokratische Aktivitäten in Rintheim
Wann die ersten sozialdemokratischen Aktivitäten in Rintheim tatsächlich begannen, ist nicht genau belegt. Doch schon zu Beginn der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts gibt es schriftliche Zeugnisse über eine überregionale Veranstaltung. So meldet der "Volksfreund" am 29.4.1892: Rintheim: Am Ostermontag fand im Gasthaus zum Waldhorn dahier die erste Konferenz der sozialdemokratischen Parteigenossen des 37. Badischen Landtagswahlbezirks Karlsruhe-Land statt... Auf der Tagesordnung stand ...die Gründung einer Organisation für den 34. Landtagswahlbezirk, um für eine möglichst gute und zweckdienliche Verbreitung der sozialdemokratischen Grundsätze auf dem Land besser Sorge zu tragen..., was in einer Resolution festgehalten wurde. Hierauf wurde Hagsfeld als Vorort gewählt. Vertreten waren die Orte Hagsfeld, Rintheim, Rüppurr, Bulach, Blankenloch, Beiertheim durch etwa 50 Genossen.
Daraus läßt sich schließen, daß es schon seit geraumer Zeit sozialdemokratische Mitglieder in Rintheim gegeben haben muß, die sich aber noch nicht zu einer Ortsgruppe zusammengeschlossen haben. Einen weiteren Hinweis auf sozialdemokratische Mitglieder gibt auch ein Artikel im "Volksfreund" vom 8.1.1897, in dem für eine Parteikonferenz in Karlsruhe eingeladen wird. Wegen wichtiger Tagesordnungspunkte ist es unbedingt notwendig, daß aus allen Orten Vertrauensmänner anwesend sind. Namentlich sollten die Genossen der Orte Hagsfeld und Rintheim diesmal ihre Vertreter an ihre Pflicht erinnern.

Wie wichtig Rintheim war, geht aus Wahlergebnissen der 90er Jahre hervor. Diese zeigen, daß mit zunehmender Tendenz Rintheim zu einer Hochburg für die Sozialdemokraten wurde (Reichstagswahlen 1887 mit 43, 1890 mit 106 und 1893 mit 135 von jeweils ca. 250 abgegebenen Stimmen bei indirektem Dreiklassenwahlrecht!).

3.2 Die Gründung des Wahlvereins

Am 20.11.1897 war es dann endlich soweit: 27 Genossen haben sich in der "Krone" bei Wüstholz zur Gründungsversammlung eingefunden, nämlich Peter und Wilhelm Alsenz, Wilhelm Berberich, Heinrich Dick, Christian Eberhardt, Jakob und Wilhelm Hack,
Emil, Ernst und Ludwig Hölzer, Gustav Kastner, Jakob Kindler, Ernst Köpf, Theodor Meinzer, Christian Reeb, Karl Richers, Max Schäufele, August und Fritz Schlagenhof, Otto Schucker, Wilhelm Vortisch, Theodor Waas, Ludwig Wenz und 4 Nicht-Rintheimer.
Zum 1. Vorstand wurde Theodor Waas, zum 2. Vorstand und Kassier Emil Hözer gewählt.
Schriftführer wurde Wilhelm Berberich, Beisitzer Max Schäufele und Otto Schucker.
Otto Schucker war mit 23 Jahren das jüngste Gründungsmitglied, der diese detaillierten Informationen über die Gründung als Zeitzeuge festgehalten hat . Ohne diese Zeitzeugendokumente gäbe es keine näheren Informationen, da die Sozialdemokraten es tunlichst unterließen, zum Schutz der Mitglieder vor der allgegenwärtigen Polizei, Namen zu nennen. Otto Schucker, am 2.9.1874 in Rintheim geboren, gelernter Schlosser, verheiratet, 9 Kinder, hat sich neben der Bürgerausschußtätigkeit jahrzehntelang für die Partei aktiv eingesetzt. 1911 war er Delegierter beim Heidelberger Parteitag. Er war auch Vorsitzender des Freien Turnerbundes.

Als Mitteilung erschien im "Volksfreund" vom 5.12.1897 folgender Artikel (Auszüge):

T. W. Rintheim, 1. Dez. „Was lange währt, wird endlich gut", so können auch die Rintheimer Parteigenossen sagen. Denn nach langen Mühen und Kämpfen ist es uns endlich gelungen, einen Wahlverein ins Leben zu rufen. Nicht mit Unrecht ist von der Parteileitung darauf hingewiesen worden, daß in einer sozialdemokratischen Hochburg, wie Rintheim schon seit Jahren eine ist, kein Wahlverein zu Stande zu bringen sei. Und woran lag in den vergangenen Jahren die Schuld dafür, daß keine Organisation errichtet werden konnte? Die leidige Gesangsvereinspolitik, welche schon in mancher Gemeinde die Parteientwicklung hemmte oder zerstörte. Parteigenossen, die Lauheit und Trägheit, das Sichfernehalten von der Pflicht muß aufhören. Tretet ein in den Wahlverein, denn wir leben wahrlich in einer kritischen Zeit, wo es heißt: „Alle Mann an Bord", wo die Reaktion zu einem Streich nach unserem heiligsten Recht, dem Wahlrecht, den Arm erhebt. Und nur wenn überall die enterbten, geknechteten Proletarier in geschlossener Organisation hinter ihren Führern stehen, ist es uns möglich, die Reaktion erfolgreich zu bekämpfen. Laßt alle Nörgelei dahinten und folgt dem Ruf, dem Wort unseres Führers: „Proletarier aller Länder vereinigt Euch!"

Dieser Wahlverein wurde später Ortsverein genannt.
Ein weiteres Zeugnis liegt mit Bericht des Landesvorstandes der sozialdemokratischen Partei Baden an die VIII. Landesversammlung in Offenburg am 8. Und 9. Januar 1898 vor. In diesem Bericht wird u.a. Rintheim als neue Organisation erwähnt. Er ist aber vor allem auch ein Zeugnis der allgemeinen schwierigen Situation der Sozialdemokraten in Baden.

Auch in Rintheim war es in dieser Zeit nicht leicht, sich zur Sozialdemokratie zu bekennen. So berichtet ein Rintheimer Artikel im "Volksfreund" vom 17.12.1897 unter der Überschrift: Etwas über "Auch"-Genossen über ein Bürgerausschußmitglied der 3. Klasse M. Sch., der nicht in den Wahlverein kommen wollte, obwohl er von Sozialdemokraten gewählt worden war. Seine Antwort war einfach: do kann i nett hin, des geht nett. Trotz solcher Schwierigkeiten hat sich der Wahlverein Rintheim nach einem Jahr schon so konsolidiert, daß eine Meldung aus dem "Volksfreund" vom 20.10.1898 das geplante Stiftungsfest und die Sonnenwendfeier angesprochen hat.

Die Probleme waren aber allgegenwärtig, ob es der Versammlungsort war, die Genehmigung einer Veranstaltung oder das Mitführen der roten Fahne. Die Sicherheitspolizei versuchte alles unter Kontrolle zu halten. Beispielsweise kann man im "Volksfreund" vom April / Mai 1899 nachlesen, daß der Kronenwirt Wüstholz kurzfristig den zugesagten Raum für die 1.Mai - Feier, bei der neben Rintheimer auch Hagsfelder Genossen teilnehmen wollten, verweigerte. Als Hintergrund stellte sich die Befürchtung vor einem Militärboykott heraus, der durch die Militärbehörde bzw. Bezirksämter ausgesprochen werden konnte.

An dieser Stelle seien die Lokale und deren Wirte genannt, in denen der Wahlverein bzw. Ortsverein seit der Gründung tagte:

1. Gasthaus zur "Krone", Wüstholz
2. Gasthaus zum "Schwanen", Jakob Schunk
3. Gasthaus zur "Friedrichskrone", Wilhelm Schäufele
4. Gasthaus zum "Schwanen", Schindel
5. Gasthaus zum "Hirsch", Heinrich Benz bis 1933 (und dananch illegal)

Die Schwierigkeiten schienen aber nicht nur im öffentlichen Bereich zu liegen. Der "Volksfreund" vom 9.6.1899 berichtet über eine öffentliche Volksversammlung der Sozialdemokraten im "Schwanen", bei der eine Frau Greifenberg aus Berlin eine zündende Rede hielt und u.a. auch auf folgendes einging: ..besonders die anwesenden Frauen (16 - 20 an der Zahl) ermahnte die Rednerin, ihren Mann und Gatten im Kampf um die Existenz zu unterstützen und nicht denselben noch durch unfreundliches Wesen mißmutig zu machen. Wir glauben, ...daß nunmehr mancher in den Wahlverein eintritt, der bisher mit Rücksicht auf seine Frau sich davon abhalten ließ.

Da es als konservatives Pendant zur SPD eine bedeutende Ortsgruppe des Badischen Frauenvereins gab, könnte es wahrscheinlich gewesen sein, daß viele Sozialdemokraten und Sympathisanten mit Mitgliedern des Frauenvereins verheiratet waren. Die oben erwähnte Volksversammlung hatte möglicherweise einen sehr viel tieferen Hintergrund.

Waren die Probleme im öffentlichen Leben noch so groß, umso mehr hielten die Parteimitglieder zusammen und versuchten sich in Notfällen zu helfen. So erschien z.B. im "Volksfreund" vom 16.8.1899 in einer Anzeige folgender Aufruf: Rintheim
Ein hiesiger älterer Parteigenosse mit großer Familie ist durch lange Krankheit in Noth gekommen. Diejenigen Parteigenossen, welche in der Lage sind, dem kranken Genossen eine Unterstützung zukommen zu lassen, wollen ihre Beiträge an den Filialinhaber des „Volksfreundes", Friedr. Wenz in Rintheim einsenden.
Die Arbeiter schlossen sich nicht nur politisch zur sozialdemokratischen Partei zusammen. Ab den 90er Jahren wurden auch verschiedene, eng mit der Sozialdemokratie verbundene Arbeitervereine gegründet, die verschiedenartigen kulturellen Bedürfnissen Ausdruck verliehen. In Rintheim wurden u.a. gegründet:

Arbeitersängerbund "Eintracht"
Arbeiterradfahrervereine "Solidarität" und "Freie Radler"
Turnerbund
Athletenverein
Arbeiterwohlfahrt
Naturfreunde.
In vielen Fällen gehörten die damaligen Mitglieder der Rintheimer Sozialdemokraten zu den Gründungsmitgliedern . Diese Arbeitervereine vereinigten sich ortsweise zu Kartellen, die auch gemeinsame Veranstaltungen abhielten.

3.3 Sozialdemokratische Mandate in Rintheim

Von der Gründung des Wahlvereins bis zur Eingemeindung Rintheims nach Karlsruhe am
1. Januar 1907 war eine Reihe von Mitgliedern aktiv als Mandatsträger in Rintheim tätig.
Im Bürgerausschuß: Ernst Reeb (1901 - 1904)
Otto Schucker (1904 - 1906)
Im Gemeinderat: Christian Eberhardt (1904 - 1906)
Wilhelm Schäufele (1904 - 1906)

Ernst Reeb, geb. am 21.9.1861, gelernter Eisengießer, betrieb die Rintheimer Großgärtnerei nördlich des Hirtenwegs. Er setzte damit die Tradition seines Vaters Ernst Reeb fort, der
großherzoglicher Gärtner bei Hofe war. Er vertrat sozialdemokratische Politik als Rintheimer Bürgerausschußmitglied.

Christian Ludwig Eberhardt, geb. am 15.5.1868 in Rintheim, gelernter Eisendreher, war verheiratet und zog 5 Kinder groß. Er war Wirt in Rintheim. Er wurde von allen der "Doktor" genannt, weil er im homöopathischen Verein Rintheims ein engagierter und kompetenter Kräutersammler und -kenner war. Als Gemeinderat vertrat er die SPD in Rintheim von 1904 bis 1906. In den Jahren 1914 bis 1919 war er als Stadtverordneter in Karlsruhe aktiv.

Wilhelm Schäufele, geb. am 4.1.1858 in Rintheim, gelernter Eisendreher, war schon so früh sozialdemokratisch engagiert, daß er unter den Sozialistengesetzen in Haft genommen wurde. 1904 kandidierte er für den Bürgermeisterposten und verlor am 22. Juni nur "um ein Haar" gegen Ludwig Lessle, der wieder gewählt wurde. Hätte Schäufele gewonnen, wäre er der erste Bürgermeister der SPD in Baden gewesen (so bekam Hagsfeld 1906 den ersten SPD Bürgermeister). Um die Jahrhundertwende ließ er die "Friedrichskrone" bauen und war bis 1944 aktiver Wirt. Er wirkte auch maßgeblich bei der freiwilligen Feuerwehr in Rintheim
mit. Führende Sozialdemokraten aus dem Karlsruher Raum haben sich bei ihm in den 20-er Jahren getroffen. Er war Gemeinderat in Rintheim von 1904 bis 1906.

Während seines Gemeinderatsmandats ließ sich Schäufele 1905 als Kandidat des 40. Landtagswahlkreises aufstellen.

W. Schäufele hat auch die Landtagswahl knapp verfehlt, obwohl er in Rintheim 269 von 322 Stimmen erringen konnte (d.h. 83,5%). Gründe sind sicher auch die alltäglichen Drangsale gegen die Genossen in der damaligen Zeit, wie in einem anderen Artikel im "Volksfreund" vom 3.11.1905 dargestellt.

3.4 Rintheim als Karlsruher Stadtteil

Am 1. Januar 1907 wurde Rintheim nach Karlsruhe eingemeindet. Ein Zeugnis aus diesem Jahr findet sich im Generallandesarchiv in Form von 2 Glückwunschpostkarten, die anläßlich der Reichstagswahl 1907 dem Gewinner des Wahlkreises Karlsruhe Adolf Geck aus Offenburg geschickt wurden.
Auf der Karte vom 5.2.1907 haben unterschrieben: Friedrich Schäufele, Max Meinzer, Julius Süpfle, Jul(?) Schucker, O.(?) Schucker, H. Schäufele, Kammerer, K. Dauhmberger(?), W(?) Schäufele, L. Hölzer.

1907 zog ein Genosse von Durlach nach Rintheim, der schon 1891 dort in die SPD eingetreten war: August Schächtele, am 25.1.1868 geboren, Weißgerber und später (Pferde-) Straßenbahnschaffner. August Schächtele war somit über lange Zeit das parteiälteste Mitglied. Auch nach dem 2. Weltkrieg war er gleich wieder bei der Neugründung dabei. Die Parteizugehörigkeit blieb in der Familie: Sohn Gustav Schächtele, am 18.1.1892 geboren, Straßenbahnschaffner, ist 1922 in die SPD eingetreten, und dessen Schwiegersohn Walter Lessle nach dem 2. Weltkrieg. (siehe auch Abschnitt 3.7)

Bei der ersten Stadtverordnetenwahl nach der Eingemeindung im Jahr 1908 wurde ein Rintheimer Kandidat für 3 Jahre in den Karlsruher Bürgerausschuß gewählt: der Fabrikarbeiter Friedrich Wörner. In der 3. Klasse wurde folgendes Wahlergebnis erzielt:

Sozialdemokratische Liste Bürgerliche Liste
Karlsruhe 4820 = 59 % 3336 = 41 %
Rintheim 180 = 70 % 76 = 30 %

Bei der nächsten Stadtverordnetenwahl 1911 wurde Friedrich Wörner für 6 Jahre wiedergewählt. Das Wahlergebnis für die SPD fiel noch überzeugender aus:
In der 3. Klasse: Karlsruhe 65 %, Rintheim 76 %
Sogar in der 2. Klasse errang die SPD in Rintheim noch die Mehrheit mit ca. 60%!
Auch nach dem 1. Weltkrieg wurde Wörner in den Bürgerausschuß gewählt. Während des
1. Weltkriegs war Rintheim zusätzlich durch Christian Ludwig Eberhardt im Bürgerausschuß vertreten.
Die o.g. Klasseneinteilung wurde auf Basis der gezahlten Steuern vorgenommen. Eine Vorstellung dazu gibt die Bekanntmachung im "Volksfreund" am 10.5.1911:
Aus der Residenz
Karlsruhe, 10. Mai
Achtung, Stadtverordnetenwähler
....Zugleich ist aus der heutigen amtlichen Bekanntmachung zu ersehen, daß man in der 1. Klasse mit einem Steuerbetrag von 132,96 Mk. ab in der 2. Klasse mit einem solchen von 16,32 Mark bis 132,96 Mk. und in der 3. Klasse beim Steuersatz von weniger als 16,32 Mk. wahlberechtigt ist. Durch diese Steuerstaffelung sind auch eine Anzahl Arbeiter in der 2. Klasse wahlberechtigt.
An dieser Stelle sollen weitere langjährige Genossen genannt werden, die vor dem
1. Weltkrieg in die SPD eingetreten sind und noch 1953 auf der Mitgliederliste standen (in Klammer Eintrittsdatum):
Adolf Axtmann (1908), Robert Hölzer (1906), Karl Mitschele (1910) und Hermann Schweimler (1906)

3.5 Weimarer Republik

Zu Beginn der Weimarer Republik wurde das Dreiklassenwahlrecht abgeschafft und das Frauenwahlrecht eingeführt. Bei den ersten Wahlen 1919 zur Badischen Nationalversammlung und zum Reichstag konnte die SPD in Rintheim 76 % (in ganz Karlsruhe nur 37 %) bzw. 81 % verzeichnen. Bei den ersten Stadtverordnetenwahlen am 18.5.1919 gingen von 80.000 Wahlberechtigten nur 34.910 zur Wahl. Die Stimmen und Sitze verteilten sich wie folgt:

K a r l s r u h e Rintheim

Deutsch-demokratische Partei 10.750 Stimmen 30 Sitze 57 Stimmen
Sozialdemokratische Partei 8.711 Stimmen 24 Sitze 484 Stimmen
Zentrumspartei 8.687 Stimmen 24 Sitze 10 Stimmen
Unabh. Sozialdemokratische Partei 3.589 Stimmen 10 Sitze 78 Stimmen
Deutsch-nationale Partei 3.175 Stimmen 8 Sitze 37 Stimmen

In den Bürgerausschuß wurden aus Rintheim gewählt: Für die SPD: Friedrich Wörner, Fabrikarbeiter und Xaver Zeitler, Straßenbahnschaffner, Betriebsratsvorsitzender. Für die USPD: Karl Sauter, Reisender.

Vor der nächsten Bürgerausschußwahl am 19. November 1922 hatten sich die beiden Parteigruppen wieder vereinigt.
Es wurde neu gewählt: Robert Hölzer, Metallarbeiter
Es wurden wiedergewählt: Xaver Zeitler und Karl Sauter.

Robert Hölzer, geb.am 8.5.1881 in Rintheim, gelernter Revolverdreher und Werkmeister bei Haid & Neu, war verheiratet und hatte 7 Kinder. Theodor Waas, 1. Vorsitzender bei der Gründung des Ortsvereins, war sein Ziehvater. Robert Hölzer war jahrelang Betriebsratsvorsitzender. 1906 trat er in die SPD ein. Er war sowohl in der SPD als auch im Rintheimer Vereinsleben aktiv, auch als Vorsitzender des Gesangsvereins Eintracht. Für seine vielfältigen Verdienste wurde ihm das Bundesverdienstkreuz verliehen. Robert Hölzer war auch bei der Neugründung nach dem 2. Weltkrieg dabei.

Für die Wahl zum Bürgerausschuß am 14.11.1926 wurde von der Rintheimer SPD ein junger Kandidat vorgeschlagen, der im Alter von 26 Jahren auf Anhieb den Sprung in den Bürgerausschuß schaffte: Gustav Heller.

An dieser Stelle sollen weitere langjährige Genossen genannt werden, die vor 1933 in die SPD eingetreten sind und noch 1953 auf der Mitgliedsliste standen (in Klammer Eintrittsdatum):

Karl Brodbeck (1919), Julius Eberhardt (1924), Georg Emmerich (1926), Hermann Fucks (1924), Franz Heidelberger (1927), Wilhelm Heller (1927), Karl Hoeffgen (1924), Karl Hofmann (1920), Rudolf Kirchenbauer (1917), Albert Kohler (1932), Karl Kohler, Hermann Maier (1920) und Emil Reeb (1922).

3.6 Das Ende der demokratischen Gesellschaft
In der Weimarer Republik war die SPD eine staatstragende Kraft. Bis 1928 war sie immer die stärkste oder zweitstärkste Partei. Erst mit den schwierigen Verhältnissen ab 1929 war der Nationalsozialismus trotz vielfältiger Anstrengungen aller demokratischen Parteien nicht mehr aufzuhalten.
Während die NSDAP in Karlsruhe (wie in ganz Deutschland) bei Reichstags- und Landtagswahlen von einer verschwindenden Minderheit in 1928 (ca. 3%) auf fast die absolute Mehrheit in 1933 (ca. 45%) zunahm, wurde sie in Rintheim 1932/1933 zwar auch die stärkste Kraft, das aber mit einem wesentlich geringeren Abstand vor der SPD:
Karlsruhe Rintheim SPD NSDAP SPD NSDAP
20.05.1928 38,1% 2,8% 61,5% 1,3%
1929 29,6% 11,6% 56,6% 5,4%
15.09.1930 24,3% 25,9% 49,3% 21,0%
06.11.1932 18,3% 37,7% 39,5% 44,2%
05.03.1933 17,7% 44,5% 39,2% 45,2%
Die sozialdemokratischen Wähler in Rintheim beugten sich also deutlich weniger, als in den meisten anderen Stadtteilen von Karlsruhe (weitere Ausnahmen: Daxlanden und Grünwinkel), den Parolen und der Propaganda der Nationalsozialisten (kurz NS). In Rintheim speiste sich das NS-Wählerpotential weitaus mehr aus Mitte- und Rechtskreisen und den unzufriedenen Nichtwählern. Geschlechtsspezifisch betrachtet haben ca. 10% mehr Frauen als Männer die NSDAP gewählt, wenn eine gesamtdeutsche Analyse auch für Rintheim zutrifft. Das von der SPD erkämpfte Frauenwahlrecht kam ihr also nicht zugute.

Das Ende der Weimarer Republik war durch große politische Auseinandersetzungen und Wirren, aber auch von zunehmender Gewalt geprägt. Vielleicht weil Rintheim zunächst ein der NSDAP etwas widerstehenderer Stadtteil war, wurde auch dort eine große öffentliche Versammlung anberaumt, nämlich für den 17.10.1930 im "Schwanen", zu der Nationalsozialisten und SA-Leute in einer Stärke von 250 - 300 Mann aus ganz Karlsruhe anrückten. Insgesamt wurde die Veranstaltung von 300 - 400 Personen besucht, wobei nur wenige NS-Anhänger aus Rintheim dabei waren. Auf dieser Versammlung sollte eine NS-Sektion Rintheim gegründet werden, um hier Fuß zu fassen.

Im Verlauf dieser Versammlung kam es zu Tumulten und einer folgenschweren politischen Saalschlacht, bei der es mehrere Schwer- und Leichtverletzte gab. Die in Bereitschaft stehende Polzei räumte daraufhin gewaltsam das Versammlungslokal und die Umgebung. Teilgenommen haben u.a. ca. 40 Sozialdemokraten und der Stadtverordnete Gustav Heller aus Rintheim, der bei der ersten besten Gelegenheit vom Stuhl gerissen und vorsätzlich zusammengeschlagen wurde. Dieser Vorsatz wurde einige Tage später in einem Kommentar im "Führer" vom 1.11.1930 ganz offen mit Schadenfreude zugegeben.

Hintergrund dieser geplanten Aktion war offensichtlich, daß Heller Stadtverordneter war und aktiv gegen rechts gekämpft hat.

Gustav Heller, am 18.3.1900 in Rintheim geboren, gelernter Maschinenschlosser, trat 1919 in die SPD ein, engagierte sich schon bald danach kommunalpolitisch und wurde 1926 und 1930 in den Karlsruher Bürgerausschuß gewählte. 1928 übernahm er den Bezirksvorsitz der SPD in Karlsruhe. Parallel dazu bildete er sich 1926 bis 1930 an der TH-Karlsruhe und der Staatlichen Volkshochschule in Thüringen weiter. Ab 1931 kämpfte er als Karlsruher Vorsitzender der "Eisernen Front", die von der SPD als nichtmilitärische Kampforganisation in der Abwehr der SA und "Rotfront" im Jahr 1931 gegründet wurde. Er war letzter Ortsvereinsvorsitzender in Rintheim vor dem Parteiverbot.

Nach dem Umsturz wurden keine Stadtratswahlen mehr durchgeführt. Vielmehr nahm die regierende NSDAP ab März 1933 nur noch Vorschläge der anderen Parteien entgegen. In dieser Zeit wurde es sehr schwierig, ein sozialdemokratisches Mandat anzunehmen, zumal schon alle Versammlungen und Zusammenkünfte der SPD verboten waren. Trotzdem kandidierte Heller und wurde parteiintern von der SPD zum Spitzenkandidaten für den Stadtrat gewählt. Wenige Tage nach der Bestätigung Hellers als Stadtrat durch die NSDAP, wurde er von der Gestapo in Schutzhaft genommen. Am 16.5.1933 wurde Heller mit anderen Sozialdemokraten in der berühmten Schaufahrt durch Karlsruhe in das KZ Kislau überführt.

Gustav Heller konnte glücklicherweise einem schlimmeren Schicksal entgehen (Ludwig Marum wurde im KZ ermordet). Heller wurde Ende 1933 aus dem KZ entlassen und stand ein Jahr unter Polizeiaufsicht. Beruflich war er für Jahre aus der Bahn geworfen. Trotzdem hat er illegal die Verbindungen mit bestehenden Gruppen wieder aufgenommen. Nach 1945 war Gustav Heller auch in verschiedenen Mandaten und Funktionen aktiv und erfolgreich. (siehe Abschnitt 3.7).

Die Nationalsozialisten verboten alle Aktivitäten der SPD: am 18.3.1933 den "Volksfreund", die politische Organisation und nach und nach alle SPD-nahen Vereine im Rahmen der Aktion "Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens". Drangsal, Schikane, Bespitzelung, Verfolgung und berufliche Entlassungen waren für die Rintheimer Sozialdemokraten an der Tagesordnung. Gewarnt durch die Verhaftung Gustav Hellers, waren die Genossen in Rintheim wohl vorsichtiger bei ihren verbotenen Aktionen, so daß es laut Zeitzeugen nicht zu weiteren Verhaftungen kam. Versammlungen durften nicht mehr stattfinden. Publikationen konnten nur noch unter Gefahr für Leib und Leben gedruckt und verteilt werden. Aber auch Terror und Verfolgung konnten die Mitglieder nicht davon abhalten, die Parteiarbeit im Untergrund fortzusetzen.

Es kursierten sozialdemokratische Schriften und Zeitungen und man traf sich verbotenerweise im "Hirsch". Man versuchte sich dabei entsprechend zu tarnen und vor Spitzeln zu schützen. Um bei den Treffen aufgenommen zu werden, gab es eine Losung, die den Teilnehmer als Genossen auswies. Diese Losung lautete im Dialekt: "Isch der Schtuhl noch frai, hait?", wobei die beiden letzten Worte gleichzeitig das politische Credo "Freiheit" enthielten.

Viele Mitglieder haben unter dem Terrorregime zwischen 1933 und 1945 in unvorstellbarer Weise gelitten. Sie haben ihre Gesundheit, ihren Arbeitsplatz sowie ihr Hab und Gut verloren. Neben der Bedrohung des eigenen Lebens haben sie auch den Druck auf die Familien und Freunde verspürt.

Die Schrecken des Dritten Reichs, die mit Verbot, Verfolgung, Inhaftierung und Tod für die Mitglieder der SPD begonnen hatten und in einem Meer von Zerstörung, Leid und Elend nach zwölf Jahren im Frühjahr 1945 endeten, hatten am Lebensnerv aller Menschen und auch der politischen Kräfte gezehrt. Es war den nationalsozialistischen Machthabern jedoch nicht gelungen, die tief in den Herzen der Mitglieder verankerten Ideen der Sozialdemokratie auszulöschen.

3.7 1945 - die Stunde Null

Am 4. April 1945 besetzten die Franzosen unsere Stadt. Die Zerstörung und die Not durch Krieg und Besetzung nahmen unfaßbare Formen an. Rintheim war durch Bombenangriffe, vor allem vom 24./25. April 1944, zu 95% zerstört; der Rest stark beschädigt. Damit war Rintheim der am meisten zerstörte Stadtteil Karlsruhes. Die in Rintheim zurückgebliebenen Einwohner hausten in Kellern und Ruinen und wußten nicht, woher das nächste Stück Brot nehmen. In den letzten Monaten des Kriegs waren es nur noch 10 Familien, die Tag und Nacht in Rintheim blieben.
Und doch mußte es weiter gehen. Es fanden sich auch in dieser Situation Männer und Frauen, die sich für das öffentliche Leben engagierten und Verwaltungsstrukturen mit aufbauten. Die dringendste Aufgabe war die notdürftige Versorgung des zerstörten Stadtteils mit Unterkünften und Nahrung. Ein Teil der Bevölkerung richtete sich in den noch nutzbaren Kellern ein, für andere wurden kleine Behelfsheime gebaut. Ende 1946 waren es erst wieder 1500 Bewohner.

Die Verwaltung auf allen Ebenen wurde jetzt überwiegend von denjenigen getragen, die dem Nationalsozialismus vor und nach 1933 Widerstand entgegensetzten und daraus die Legitimation des Neuanfangs zogen. Das waren maßgebend Sozialdemokraten, die über 12 Jahre illegal ihre Verbindungen aufrechterhalten hatten, auch wenn es extrem gefährlich war. Die Amerikaner, die am 8. Juli 1946 die Franzosen als Besatzungsmacht ablösten, achteten stärker darauf, daß ausgewiesene Hitlergegner in den leitenden Positionen tätig waren.

Die Stadt Karlsruhe wurde sofort nach Kriegsende im April 1945 in 16 Verwaltungsbezirke eingeteilt. In allen Bezirksämtern wurden Sozialdemokraten als Vorsteher oder Stellvertreter eingesetzt (neben wenigen der KPD und einem Stellvertreter der CDU). Auch in der Bezirksverwaltung XIV (Rintheim), waren Sozialdemokraten aktiv.

Nur wenige Monate nach Kriegsende formierten sich die Sozialdemokraten auch, um ihre Parteistruktur wieder ins Leben zurufen, z.T. noch bevor die Lizenz durch die Besatzung erteilt wurde.

In Rintheim erfolgte am 25.11.1945 die Gründung des Ortsvereins durch etwa 2 Dutzend Mitgliedern in einer Versammlung im Schulhaus, die von Karl Bibricher einberufen wurde.
Es waren anwesend: Gustav Erb, Karl Grimm, Karl Hofmann, Robert Hölzer I, Robert Hölzer II, Otto Horr, Hermann Kiefer, Rudolf Kirchenbauer, Albert Kohler, Emil Kurz, Hermann Maier, Karl Mitschele, Eugen Reeb, August Schächtele, Otto Schucker, Hermann Schweimler, Julius Süpfle zusammen mit weiteren ehemaligen Mitgliedern und Freunden. Der überwiegende Teil war schon vor 1933 Mitglied. Zum 1. Vorsitzenden wurde Albert Kohler gewählt, der 1932 schon in die SPD eintrat. Er amtierte mit kurzer Unterbrechung bis 1959.

Albert Kohler, geb. am 2.12.1907, wirkte von Anfang an in der Bezirksverwaltung Rintheim mit, die am 20.4.1945 in der Huttenstr. 29 eingerichtet wurde. Er wurde Stellvertreter, später Bezirksvorsteher, bis die Bezirksverwaltung im Oktober 1948 aufgelöst wurde. Danach führte er ein inoffizielles Bürgerbüro weiter.

Neben dem Engagement bei der Bezirksstelle waren Sozialdemokraten auch bei anderen Einrichtungen maßgeblich aktiv:

· beim Rintheimer Wohnungsausschuß: Otto Schweimler und vor allem Walter Lessle
· bei der Arbeiterwohlfahrt (AWO), die auch in Rintheim von Hanne Landgraf, Walter Lessle und Karl Siebert aufgebaut wurde. Von der AWO wurden u.a. die Care-Pakete an Hilfsbedürftige verteilt.

Walter Lessle, geb. am 24.9.1915, Finanzsekretär, der am 27.2.1946 in die SPD eingetreten ist, ist heute das parteiälteste Mitglied in Rintheim. Er ist in 3. Generation als Schwiegersohn nach August und Gustav Schächtele SPD-Mitglied. Er war über Jahrzehnte sehr aktiv und hat in verschiedene Funktionen gewirkt.

Auch nach Kriegsende übten Rintheimer Sozialdemokraten Mandate aus: in der Zeit von 1946 bis 1971 und 1981 bis 1984 war Rintheim im Stadtrat vertreten; in der Zeit von 1953 bis 1968 sogar von 2 Rintheimer Sozialdemokraten; von 1948 bis 1950 und von 1966 bis 1977 war Rintheim im Landtag vertreten.

Gleich nach dem Krieg bei den ersten Wahlen am 26.5.1946 wurde Gustav Heller aus Rintheim, späterer Direktor bei Junker & Ruh, wieder in den Stadtrat gewählt, dem er bis 29.11.1971 angehörte. Was Gustav Heller schon in den zwanziger Jahren begonnen hatte, setzte er jetzt erfolgreich fort. Mit beispielhaftem persönlichen Einsatz hat er während dieser 25 Jahre bei der Lösung der großen kommunalpolitischen Probleme mitgearbeitet und sich um den Wiederaufbau und die Neugestaltung der Stadt verdient gemacht. Dabei hat er sich auch immer wieder besonders für Rintheim eingesetzt, wo er lange Zeit im Vorstand des Bürgervereins war. Beispiele für einige seiner Aktivitäten sind:

Aufbau der Behelfswohnheime 1945
Finanzierung des Wiederaufbaus der evangelischen Kirche
Wohnraum im Rintheimer Feld
Ablösung des Straßenbahnpendelverkehrs zum Schlachthof - durchgehende Linie 3 in die Stadt
Heinz-Schuchmann - Haus
Verschonung Rintheims vor einem zu nahen Meßplatz.
Kein Wunder, daß er z.B. 1953 in Rintheim 73% der Stimmen errang.
Neben seinem Stadtratsmandat gehörte Heller von 1948 bis 1950 auch der verfassungsgebenden Versammlung im deutschen Südwesten an (Vorläufer des heutigen Landtags). Zweimal war er auch 1. Vorsitzender des Kreisverbands Karlsruhe. Für seine Verdienste wurde er 1965 mit dem Bundesverdienstkreuz I. Klasse ausgezeichnet und 1970 zum Ehrenbürger der Stadt Karlsruhe ernannt. In der Weststadt wurde ein Platz nach ihm benannt.

Hanne Landgraf, Tochter von Karl Siebert, war von 1953 bis 1968 Stadträtin und von 1966 bis 1977 Landtagsabgeordnete. Gleich nach Kriegsende in die SPD eingetreten, war sie außerdem in verschiedenen Organisationen tätig: sie war langjährige Vorsitzende der AWO und ehrenamtlich auf Landes- und Bundesebene tätig. Sie leitete die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (ASF). Sie war Vorstandsmitglied des "Vereins für Jugendhilfe" und war Landesvorsitzende des Landesausschusses Baden-Württemberg des Deutschen Müttergenesungswerkes. Sie ist heute Ehrenvorsitzende der AWO. 1993 wurde sie für ihre Verdienste zur Ehrenbürgerin der Stadt Karlsruhe ernannt.

Heide Hölzer, geb. am 31.3.1940 in Rintheim, war bei der Arbeiterwohlfahrt beschäftigt. Sie war von 1981 bis 1984 als Stadträtin zum Wohle der Gesamtstadt und insbesondere für Rintheim tätig. Sie war 11 Jahre Ortsvereinsvorsitzende und danach aktiv im Vorstand des Bürgervereins.

Nicht nur von den Mandatsträgern wurden entscheidende Impulse in Rintheim gesetzt. Auch der Ortsverein selbst hat immer wieder zum Wohl Rintheims gewirkt. Einige zusätzliche Beispiele sollen das belegen:

Spielplatz am Weinweg
Bolzplatz Ecke Haid-und-Neu-Straße und Hirtenweg
Umbau Mannheimer Straße / Übergang Huttenstraße
Halteverbotsschilder bei der Schule am Weinweg
Nachhilfearbeitskreis
Dabei ist einiges auch in Zusammenarbeit mit anderen politischen Parteien z.B. der CDU erreicht worden. Eine Verbesserung der Situation rund um die Dreschhalle ist leider trotz großer Anstrengungen noch nicht gelungen.
Der Ortsverein Rintheim hat sich seit Kriegsende in verschiedenen Lokalitäten getroffen. Zunächst gab es bis 1951 keine andere Möglichkeit, als sich im Schulhaus zu treffen. Danach waren folgende Wirtschaften Versammlungsort:

Schweizerhof
Weinwegklause
Hirsch
Friedrichskrone
Die Namen der Vorsitzenden des Ortsvereins Rintheim der SPD seit 1945 lauten:
Albert Kohler, Heinrich Zwick, Rolf Lessle, Walter Lessle, Gerhard Janssen
Herrmann Scholl, Heide Hölzer, Arnold Ott, Klaus Gimmel und Helmut Rempp.

Der Ortsverein Rintheim hat traditionell mit den Ortsvereinen der angrenzenden Stadtteile zusammengearbeitet, vor allem mit Hagsfeld, neuerdings auch mit der Waldstadt. Über viele Jahre hat Günter Fischer, Vorsitzender des Ortsvereins Hagsfeld, zunächst als Stadtrat und seit 1996 als Mitglied des Landtags, den Ortsverein Rintheim gut betreut.

3.8 Der Ortsverein heute

Der Ortsverein der SPD Rintheim hat sich stetig weiterentwickelt mit der einen oder anderen Veränderung. Nach und nach haben sich allerdings die "Alt-Rintheimer" aus der aktiven Parteiarbeit zurückgezogen. Vor allem im heutigen Vorstand, aber auch bei den Mitgliedern werden die Altrintheimer, die traditionell die Hochburg der SPD repräsentierten, immer rarer. Der Vorstand würde sich daher sehr freuen, wenn Rintheimer Sympathisanten - ob jüngere Alt- oder ältere Neurintheimer - dem Ortsverein und der politischen Arbeit nähertreten würde.
Der Vorstand des SPD-Ortsvereins besteht Rintheim 1997 aus folgenden Mitgliedern: Fritz Bierbaum, Herta Jäger, Uwe Schäfer, Annelie Hölzle, Günter Wormer, Helmut Rempp, Bernhard Schneider, Norbert Röth, Eugen Kern

Die Mitglieder des Ortsvereins Rintheim der SPD werden in jedem Fall ihre politische Arbeit zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger, wie sie von Partei- und Vorstandsmitgliedern über 100 Jahre hinweg auch in schwierigen Zeiten geleistet wurde, mit Engagement, Freude und Nachdruck weiterführen. Die Geschichte ist unser Vermächtnis, die heutige Situation unsere Herausforderung.

4. Quellen

Sozialdemokratie in Deutschland, 1990
70 Jahre Dienst am Volke, SPD Ortsverein (Kreisverband) Karlsruhe
100 Jahre SPD Karlsruhe
100 Jahre SPD Daxlanden
Stadtarchiv Karlsruhe
Generallandesarchiv
Bundesarchiv Außenstelle Rastatt
Raab'sche Kartei zur Revolution 1848/49
Volksfreund / Badische Landesbibliothek
Rintheimer Chronik von Herbert Meinzer 1981
unveröffentlichte Dokumente
Zeitzeugen